„Wer braucht Feminismus?“ Diese Frage stellt Jasmin mit ihrer Kampagne seit nunmehr neun Jahren. Auf verschiedenen Plattformen versammeln sich Menschen und teilen ihre Antworten so mit der Welt. Im Interview erzählt uns Jasmin von den Anfängen der Kampagne, ihrem Weg, den Stolpersteinen und Feminismus in der Pandemie. Außerdem lässt sie uns in ihren Spreadshop blicken.
Feminismus damals & heute
Hallo Jasmin, danke, dass Du Dir Zeit für ein Interview mit uns nimmst. Sag doch mal: Wer bist Du und wie kamst Du auf die Idee zur Kampagne „Wer braucht Feminismus?“?
Ich heiße mit vollständigem Namen Jasmin Mittag und wohne im wunderschönen Hannover. Ich arbeite seit rund zehn Jahren als freie Aktivistin und Künstlerin und versuche mit meiner täglichen Arbeit Menschen auf gesellschaftlich relevante Themen aufmerksam zu machen, sie zu stärken und zu vernetzen. „Wer braucht Feminismus?“ habe ich in Anlehnung an „Who needs feminism?“ – eine Fotoaktion von US-Amerikanischen Studierenden – konzipiert und in Deutschland initiiert.
In meiner Wahrnehmung sind feministische Forderungen heute sichtbarer und breit gefächerter geworden. Wir vernetzen uns immer weiter und es gibt mehr Vorbilder, die sich Feminismus auf die Fahne schreiben.
Wie sahen die Anfänge der Kampagne aus? Findest Du, dass feministische Forderungen heute sichtbarer sind als zu Beginn Eurer Arbeit?
Als ich 2012 anfing, war es wirklich nicht einfach, die Kampagne in Gang zu bringen und feministische Statements zu sammeln. Auf der einen Seite war ich selbst noch kaum in der Szene vernetzt. Auf der anderen Seite haben sich damals Menschen im deutschsprachigen Raum noch nicht so bereitwillig zu Feminismus bekannt und sich dafür auf Fotos gezeigt. In meiner Wahrnehmung sind feministische Forderungen heute sichtbarer und breit gefächerter geworden. Wir vernetzen uns immer weiter und es gibt mehr Vorbilder, die sich Feminismus auf die Fahne schreiben.
Ihr betreibt die Kampagne seit Oktober 2012. Wie haben sich die Forderungen der Mitmachenden seitdem verändert?
Wir haben seit 2012 über 3.000 Statements im deutschsprachigen Raum gesammelt. Jedes Statement ist immer wieder neu und individuell, es gibt leider viel zu viele Gründe, warum wir heute noch Feminismus brauchen. Die Grundthemen verändern sich bisher nicht. Wir wollen alle vor allem mehr Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Freiheit durch eine offenere Gesellschaft und weniger Rollenzwänge. Ich habe den Eindruck, dass wir allerdings in manchen Punkten konkreter werden, wie z. B. bei der Abschaffung der Luxussteuer für Menstruationsprodukte.
Besser zusammen – Feminismus lebt von Community
Auf welchen Kanälen erreicht Ihr Eure Unterstützenden? Habt Ihr eine bevorzugte Plattform, auf der Ihr Euch mit anderen Feminist*innen austauscht?
Uns ist wichtig, dass wir Menschen auf verschiedenen Wegen und vor allem auch direkt erreichen. Deswegen sind wir sehr froh und stolz, dass es seit 2014 eine Wanderausstellung zur Kampagne gibt, die schon an über 40 Orten in Deutschland zu sehen war. Sie wird vornehmlich in Rathäusern und Bibliotheken oder auch Universitäten gezeigt. Mit unserem Podcast und über die sozialen Netzwerke erreichen wir wiederum ein anderes, oft jüngeres Publikum. Wir sind hier im Moment vor allem auf Instagram aktiv. Dadurch, dass wir die Basisarbeit ehrenamtlich machen, ist es uns aber auch nur begrenzt möglich, hier ständig präsent zu sein und in Austausch mit unserer Community zu treten.
Apropos Austausch in der Community: Wie hat sich Eure Arbeit seit Beginn der Pandemie verändert?
Wir organisieren sonst auch vor allem in Hannover immer mal wieder feministische Austausch- und Vernetzungsveranstaltungen: Barcamps, Frühstücke, Diskussionsrunden, Inputabende. Das fällt gerade weg bzw. machen wir nun einiges digital. Das ist aber nicht ganz dasselbe, da es herausfordernder ist, sich online zu vernetzen und zu stärken. Die Maßnahmen im Rahmen der Verbreitung des Coronavirus haben eine Reihe von feministischen Forderungen leider verstärkt. Zum Beispiel haben Probleme wie häusliche Gewalt und das Ungleichgewicht in der Hausarbeit und Care-Arbeit zugenommen.
Das sind natürlich schwerwiegende Themen – umso besser, dass Betroffene durch Euch eine Plattform finden. Weil Du gerade die Herausforderung virtueller Vernetzung angesprochen hast: Wie reagieren die Besucher*innen eigentlich auf Eure Ausstellungen jenseits der sozialen Medien?
Das Charmante an „Wer braucht Feminismus?“ ist, dass wir Menschen selbst zu Wort kommen lassen und dass es eine Mitmachaktion ist. Wir schreiben niemandem vor, wie Feminismus zu definieren oder leben ist. Wir geben Menschen eine Plattform, machen sie zu Vorbildern und stärken feministische Themen. Das kommt sehr gut an. Es gibt keinen erhobenen Zeigefinger. Wir selbst lernen ständig dazu. Feminismus entwickelt sich weiter. Es geht darum, Probleme zu erkennen, zu benennen und mit ihnen zu arbeiten. Wir haben allerdings den Eindruck, dass noch sehr viel zu tun ist, vor allem wenn wir auf die Strukturen schauen: Anscheinend sind Feminismus und die Geschichte der Frauenbewegung immer noch nicht in den deutschen Lehrplänen fest verankert. Wie kann es sein, dass nicht alle Schüler*innen etwas über die wichtigste soziale Bewegung lernen? Es macht mich fassungslos. So wissen viele immer noch nicht, was Feminismus überhaupt bedeutet.
Mit klarem Stil im Gespräch bleiben
Ihr habt Euch im Shop für einen einprägsamen Stil mit ausgewählten Produkten entschieden – wie kam es dazu?
Zum einen sind wir einfach „Wer braucht Feminismus?“ – eine Kampagne und eine ehrenamtliche Initiative, die versucht, das Image von Feminismus zu verbessern und entsprechend Themen ins Gespräch zu bringen. Deswegen setzen wir auf ein schlichtes, modernes Design. Andererseits sind wir von unserer Grundeinstellung tendenziell konsumkritisch. Wir möchten uns selbst und unserer Community allerdings ermöglichen, sich mit „Wer braucht Feminismus?“ zu schmücken, und freuen uns daher sehr, dass es durch die Zusammenarbeit mit Spreadshop unkompliziert möglich ist.
Ich wünsche mir, dass alle in ihrem Wirkungskreis so gut wie möglich zu gesellschaftlichem Wandel beitragen und Aktivismus nicht der Einsatz von wenigen bleibt, sondern sich in unserem täglichen Leben verankert. Wir alle tragen Verantwortung.
Zum Schluss: Welche Forderung ist Dir persönlich die wichtigste? Und wie sieht für Dich der feministische Aktivismus der Zukunft aus?
Für mich persönlich ist am wichtigsten, dass wir alle ein Problembewusstsein haben, Missverhältnisse wahrnehmen und diese ins Gespräch bringen. Zudem wünsche ich mir wirklich, dass die Frauenbewegung endlich die Anerkennung bekommt, die sie verdient. Wir würden heute in einer ganz anderen Welt leben, wenn sich nicht viele mutige Menschen in den letzten 150 Jahren gegen Gesetze und Konventionen aufgelehnt hätten. Frauen durften früher kein Abitur machen und nicht studieren, nicht wählen und nicht gewählt werden und sie durften nicht über den Einsatz ihrer Arbeitskraft bestimmen – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Ich bin so dankbar, dass sich das alles inzwischen geändert hat. Ich wünsche mir, dass alle in ihrem Wirkungskreis so gut wie möglich zu gesellschaftlichem Wandel beitragen und Aktivismus nicht der Einsatz von wenigen bleibt, sondern sich in unserem täglichen Leben verankert. Wir alle tragen Verantwortung.
Hab vielen Dank für das Interview! Wir wünschen Euch weiterhin viel Erfolg mit Eurer Kampagne im Kampf für mehr Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Freiheit.
Interessierst Du Dich für „Wer braucht Feminismus?“? Hier geht’s zur Homepage.
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